Gemeinsames Europa in Dublin

Caroline und ich kennen uns seit zehn Jahren. Sie ist Französin und lebt seit der Millenniumswende in Dublin. Dort traf ich sie auch, als ich selbst in der irischen Hauptstadt lebte und arbeitete. Das war zu Zeiten des keltischen Tigers, als die Wirtschaft Irlands boomte und die Finanzkrise von 2008 noch undenkbar war. Aufgrund eines rasant wachsenden Baugewerbes und einer geringen Gewerbesteuer, gab es mehr freie Stellen als Arbeitskräfte.

 

Die Konsequenz: In der größten Stadt der grünen Insel tummelten sich viele Europäerinnen und Europäer, darunter auch wir. Caroline und ich schlossen schnell Freundschaft, unsere Clique bestand aus Franzosen, Deutschen, Italienern, Polen, Spaniern und Iren. Gemeinsam und ganz konkret erlebten wir das Europa des gegenseitigen Kennenlernens, der freien Grenzen und des Arbeitens im Ausland. In Dublin hatten wir mehr Spaß als Zeit, uns großartig Gedanken über unser unbeschwertes Miteinander zu machen.

 

Seitdem ich nicht mehr in Irland lebe, besuchen Caroline und ich uns zwei bis dreimal pro Jahr entweder gegenseitig, oder wir treffen uns in den Hauptstädten Europas für einen Städtetrip. Paris hatten wir schon Anfang Oktober auserkoren, leben hier doch ihre beiden Schwestern, die ich schon kannte. Sie wollten wir am Mittwochabend (16.12.) zum Abendessen in einem Restaurant treffen. Dass sich hier meine Maskenidee mit Merkel und Hollande doch noch realisieren würde, konnte ich zuvor kein bisschen erahnen.

Fund der Nadel im Heuhaufen

Doch wie es der pure Zufall so wollte, kamen Caroline und ich am Mittwochvormittag in der Rue du Faubourg Montmarte (Nr. 22) an dem Kostümladen „Clown Montmartre“ vorbei! Wir beide hatten uns vor 30 Minuten auf dem Weg gemacht, um von unserer Unterkunft ins Viertel Marais zu laufen, wo wir ins „Maison Européenne de la Photographie“ wollten. Die Maske von Merkel hatte ich in meinem Rucksack dabei (ich plante einen Schnappschuss irgendwo solo), als Caroline mit ihrem Finger auf „Clown Montmartre“ zeigte (sie wusste von meiner Idee).

Dort, ganz unverhofft, blickte François Hollande mich aus dem Schaufenster an. Nikolas Sarkozy, Marine le Pen (!!!) und Dominique Strauss-Kahn rankten alle hoch aneinandergereiht über ihm. Diese (Ex-)Politiker gehören zum prominenten französischen Establishment. Obwohl bei den Regionalwahlen vom letzten Wochenende noch gescheitert, so hat erschreckenderweise die Vorsitzende des Front National schon Einzug in die Maskenproduktion gehalten – alarmierend, die Nachfrage in diesem Geschäft scheint sich zu lohnen.

Natürlich kaufte ich mir nach diesem zufälligen Fund der Nadel im Heuhaufen die Attrappe von Hollande. Wie nah wähnte ich mich am Ziel, als ich aus dem Laden kam und ich Caroline, draußen auf mich wartend, sagte, jetzt bräuchten wir nur noch einen guten Ort zu finden, dann könnten wir das Foto knipsen. Meine Rechnung hatte ich jedoch ohne ihre Abneigung zu Hollande gemacht (die Gründe verschweige ich, ich kann sie nachempfinden), sie würde das Gesicht ihres Staatsoberhaupts partout nicht tragen. Ich solle mein Glück hingegen bei ihren beiden Schwestern versuchen. Vor allem bei Pascale könnte ich gute Chancen haben, weil sie als traditionelle Sozialistin Hollande unterstütze. Das bedeutete, ich musste auf die Gunst von Carolines älterer Schwester setzen, die an einem Pariser Lycée Ökonomie unterrichtet. Es traf sich gut: Wir waren ja ohnehin am Abend verabredet.

Geschafft!

Und schließlich, gut acht Stunden nach meinem Fund im „Clown Montmartre“, kam der Moment: Zum Ende des Essens hin rückte ich näher an Pascale heran, die neben Caroline und mir auf der Bank im Restaurant saß. Ich sagte ihr leise, ich müsse ihr etwas erzählen: Ich hätte eine Maske von François Hollande in meiner Tasche. Und eine Bitte: Ob sie sie für einen Augenblick anziehen würde. Ich hätte auch eine von Merkel mit dabei, ich wollte von den beiden ein Foto machen.

 

Pascale überlegte nicht. Ein kräftig gesprochenes „Qui, bien sûr!“ erfreute mich. Ich holte die beiden Visagen aus meinem Rucksack hervor. Wir legten uns die Masken an. Es muss urkomisch ausgesehen haben. Denn Caroline, ihre andere Schwester Charlotte und ihr Verlobter konnten mit ihrem Lachen nicht an sich halten. Pascale nahm ein Rotweinglas in die Hand. Ich selbst presste meine Hände à la Merkel-Raute zusammen.

Epilog

Ich bedanke mich bei Caroline für die vier wunderschönen, gemeinsam erlebten Tage in Paris und die Tatsache, dass sie mein Maskenprojekt so geduldig ertragen hat.

 

Ich habe absichtlich nicht über die schrecklichen Anschläge vom 13. November und das „Paris danach“ geschrieben, dem man mit erhöhten Sicherheitsmaßnahmen und weniger Touristen als gewöhnlich schon anmerkt, dass sich etwas verändert hat.

 

Für 2016 wünsche ich mir, dass ganz, ganz viele Menschen ihre Masken fallen lassen, sie ihr menschliches Gesicht zeigen und mitfühlend handeln.

 

 

In Paris habe ich im zweiten Arrondissement den „Boulevard de bonne nouvelle“ entdeckt. Lassen wir uns hoffen, dass es im nächsten Jahr mehr positive Nachrichten gibt als schlechte.