Bei Rilke Im Turm Muzot

"Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen,

die sich über die Dinge ziehn.
Ich werde den letzten vielleicht nicht vollbringen,
aber versuchen will ich ihn.

Ich kreise um Gott, um den uralten Turm,
und ich kreise jahrtausendelang;
und ich weiß noch nicht: bin ich ein Falke, ein Sturm
oder ein großer Gesang."

Rainer Maria Rilke, 20.09.1899, Berlin (Quelle hier)

 

Starke Verse! Aufgesogen als 17-Jährige im Deutschunterricht. Und mich derer wieder in Bern erinnert plus ein paar biographischer Fakten: Rainer Maria Rilke hat eine Zeit lang in einem Turm in der Schweiz gelebt. 

 

Wo genau? Eines Samstag Abends im April 2017 wollte ich das wissen. Und so googelte ich und fand es heraus: Im Ort "Veyras" im Wallis, einem Kanton im Südwesten der Schweiz, in dem französisch und deutsch gesprochen wird.

 

Erreichbar von Bern mit Bus und Bahn in knapp zwei Stunden. Kurzentschlossen hin am nächsten Tag. Aufgebrochen in aller Herrgottsfrühe. Dies war ein Frühlingstag, wie ich keinen sah! 

Seht Ihr das Haus aus Stein im Hintergrund? Dort hat Rainer Maria Rilke von 1921 bis zu seinem Tod im Jahr 1926 geschrieben und gelebt. 

 

Doch als ich ankam, war ich überrascht: Das Haus war durch einen großen Lattenzaun verschlossen. Hier fand ich kein öffentliches Gut. Stattdessen ein Schild, das den Turm in Privatbesitz erklärte. 

Mein Ziel also versperrt durch einen Zaun? Ich schaute durch die Latten. Und sah eine Frau. Ich habe ihr versprochen, keinen Namen zu nennen, nicht viel mehr zu erzählen und keine Fotos zu zeigen. Doch so viel sei verraten: Sie ließ mich hinein. 

 

Am 30. April des Jahres 2017 erlebte ich unvergessliche Momente: Ich durfte mir Rilkes bis heute unverrückte Wirkungsstätte von Innen ansehen. Rainer Maria Rilke (1875 - 1926) war im Juni 1921 mit seiner Freundin Baladine Klossowska ins Wallis gekommen, wo sie nach einer Unterkunft suchten. Zeit seines Lebens haben ihn Türme und alte Gebäude fasziniert, so schrieb er ja auch schon 1899 in den "wachsenden Ringen" über "den uralten Turm". In einem Schaufenster in Siders (auch Sierre) erblickten sie den Hinweis auf ein kleines mittelalterliches Schlösschen, das Château Muzot.  

 

Rilke besichtigte daraufhin den Ort und war hellauf begeistert von der Walliser Landschaft, deren Pflanzenwelt ihn an ein Gemisch von französischer Provence und Spanien erinnerte. Ein Gönner ermöglichte es Rilke, in dem Château mietfrei zu wohnen. Dort vollendete Rilke die Duineser Elegien (siehe mehr dazu in dieser Quelle).

Rilke liegt in Raron, 25 Kilometer östlich vom Château Muzot, begraben. Diesen Ort habe ich mir für einen späteren Besuch aufgehoben.